Das hier ist mal ein interessanterer Fall.
Ich wurde kontaktiert, wegen einem nicht einschaltbaren "ONE GT60" - ein älteres Gamer-Notebook.
Dieses Modell ist mit einer dedizierten Grafikkarte ausgestattet und ich vermutete schon im Kundengespräch, dass möglicherweise die Grafikkarte die Ursache für das Einschaltproblem sein könnte.
So riet ich dem Kunden dazu, die Karte doch testweise mal zu entnehmen, um zu schauen, ob der Rechner dann läuft.
Natürlich wäre die Grafikleistung dann deutlich reduziert, aber immerhin wäre die Kiste für lau wieder benutzbar!
Doch der Kunde wollte keine Leistungseinbuße in Kauf nehmen und so landete das Gerät bei mir.
Hier sieht man den fetten, zweiten Kühlkörper:
Unter dem Kühlkörper, in roter Farbe umrissen, sitzt die Grafikkarte.
Die übermäßig verschmierte Wärmeleitpaste veranlasste mich, auch gleich den Prozessor-Kühlkörper abzuschrauben. Ziemliche Sauerei, Hersteller sind mitunter schon arg schmerzbefreit!
Dedizierte Grafikkarten kommen mir nur sehr selten auf den Tisch. Da muss ich erst einmal daraus schlau werden, wo überhaupt Spannung eingespeist werden muss, um die Karte separat testen zu können.
An den Kontakt-Lamellen links im nächsten Bild (bzw. schon nicht mehr im Bild, da weiter unten angeordnet) fand ich mit etwas detektivischem Spürsinn die Versorgungslamellen und reimte mir auch die Polarität zusammen. Das war anhand des Layouts übrigens absolut nicht so klar, wie man denken könnte und auch der Durchgangsprüfer half nur bedingt, indem man seine Messergebnisse korrekt interpretierte, denn an den Versorgunglamellen bestand ein Kurzschluss!
Natürlich wüsste ich auch nicht, welche Spannung dort normalerweise eingespeist wird und ich war zu faul, dafür lange zu recherchieren.
Also speiste ich per Labornetzteil eine völlig ungefährliche Spannung von nur 0,5V ein, mit genügend Strom, um die thermografische Methode aus dem letzten Posting anwenden zu können.
So konnte ich die Kurzschlussursache schnell dingfest machen: Der keramische Kondensator "C2", auf den der Zahnstocher im Bild zeigt, war niederohmig geworden.
Kondensator ausgetauscht, Kurzschluss weg! - Erfolg!
Welcher Wert dort ursprünglich bestückt war, weiß womöglich der Geier, ich weiß es jedenfalls nicht. Aber mit 10 Mikrofarad kann man an solchen Stellen selten etwas falsch machen.
Nun ja, ich hatte gerade einen ausgiebig getesteten 5μF zur Hand, also nahm ich den ...
Grafikkarte wieder eingebaut, doch der Rechner ließ sich noch immer nicht einschalten!
Immerhin war aber eine geringfügige Verbesserung wahrnehmbar, gegenüber vorher: Die LED am Taster kam kurzzeitig und auch der Lüfter ruckte nun ganz kurz an.
Gut, also die Karte wieder ausgebaut und erneut untersucht.
Per Durchgangsprüfer fand ich dann noch einen zweiten Kurzschluss, über einem anderen Kerko gemessen:
Die beiden Pfeile im obigen Bild zeigen auf zwei parallel geschaltete Kerkos, über denen der Kurzschluss messbar war. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass "der Kurze" auch tatsächlich an dieser Stelle sitzen muss!
Dennoch lötete ich beide mal aus. Tja, Fehlgriff, Kurzschluss nicht beseitigt, beide Kerkos waren OK!
Natürlich hatte ich keinen Schaltplan für die Grafikkarte, aber offensichtlich sind beide Kerkos an den TPS51728 angeschlossen - ein Schaltregler-IC, dessen Datenblatt per Suchmaschine nicht aufspürbar war. Dafür fand ich aber problemlos das Datenblatt von dessem Vorgänger, dem TPS51727.
Die Kerkos sind an den Pins 25 und 26 des ICs angeschlossen. Dort liegen laut Datenblatt normalerweise 5V an.
Fiese Sache, defekte Kerkos in einer Niederspannungs-Rail sind selten! Die sitzen also hinter einem Spannungsregler, deswegen gab es diese leichte Verbesserung des Einschaltverhaltens, nachdem ich den ersten (thermografisch überführt, tatsächlich defekten) Kondensator getauscht hatte.
Da ich die beden heilen Kerkos nun eh (unnötigerweise) draußen hatte, lötete ich an deren Pads zwei Drähte und speiste an dieser Stelle per Labornetzteil nunmehr 5V ein, also die dort regulär erwartete Spannung.
Wie zu erwarten war, brach - bedingt durch den noch vorhandenen Kurzschluss - die Spannung am Labornetzteil zusammen und die Strombegrenzung sprang an. Aber nun konnte ich wieder meine schicke Thermografie-Folie einsetzen (siehe vorheriges Posting)!
So fand ich schließlich die eigentliche Kurzschluss-Stelle: wiederum ein Kerko, an völlig anderer Stelle auf der Platine!
Der kleine rote Pfeil, rechts im folgenden Bild, zeigt auf die eben schon betrachtete Stelle (nachdem ich die Kerkos wieder eingelötet hatte).
Der Zahnstocher ganz unten, zeigt auf die tatsächliche Fehlerstelle: der winzige Kerko C817 war niederohmig!
Und hier noch einmal im Detail:
Wieder war der Wert des Kondensators zwar nicht bekannt, aber am Layout erkennt man, dass da ein dickerer Kerko parallel geschaltet ist. Das bedeutet mit sehr hoher Sicherheit, das der dickere die größere Kapazität hat (vermutlich so ca. 10μF) und der defekte, kleinere Kondi, ein 0,1μF-Typ ist.
Zumindest ist so eine Zusammenschaltung absolut üblich. Platinen-Designer schalten gerne zwei oder drei Kondensatoren unterschiedlicher Kapazität parallel, um eine bessere Störunterdrückung bei hohen Frequenzen zu erzielen.
0,1μF sind da völlig üblich, die genauen Werte sind aber eigentlich in weitem Maße unkritisch.
Es ist ja auch in weitem Maße wurscht, welches Gewicht ein Briefbeschwerer hat, gelle?
Jedenfalls befand ich 0,1μF als angemessen und lötete so ein Ding ein.
Grafikkarte wieder eingebaut und siehe da, der Rechner startete!
Nun musste die GraKa natürlich noch getestet werden. Üblicherweise (so auch hier) habe ich nicht die Festplatten meiner Kunden zur Hand, weil ich die vor ihren Augen gleich bei Anlieferung defekter Rechner ausbaue und ihnen übergebe.
Mein Lieblings Boot-Stick brachte keinen Treiber für die Karte mit, doch eine meiner diversen Boot-CDs kam mit genügend reichlicher Software-Ausstattung daher, so dass ich eine DVD abspielen konnte, wobei sich der wieder montierte Kühlkörper genau in erwarteter Weise erhitzte.
Schaden somit behoben, Rechner wieder OK!
Interessant war hier, dass ich ohne Schaltplan letztendlich auch den etwas heimtückisch versteckten, hinter einem Spannungsregler angesiedelten, zweiten Kurzschluss aufspüren konnte.
Die Thermografie-Folie war zwar wieder eine große Hilfe, aber um diese überhaupt einsetzen zu können, musste zunächst geklärt werden, an welchen Stellen die jeweils notwendige Spannung gefahrlos einspeisbar ist.
Es war nun zwar nicht gerade höchstes Detektiv-Level, aber es war doch schon ein gutes Stück anspruchsvoller, als ein defekter Kerko im 19V-Pfad eines Mainboards.
Das war jetzt mal so ziemlich "live aus der Werkstatt" geplaudert. Ich hoffe, es war interessant!