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EDV-Dompteur

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Freitag, 9. Februar 2018, 05:35

Acer Einschaltproblem - advanced!

Hier mal ein schwierigeres Einschaltproblem.
Gerät: Acer Aspire V5 ZRQ.

Hier lag keiner der üblichen Bagatell-Defekte vor, wie Buchsen-Problem, Kurzschluss, defekter MOSFET oder Schaltwandler. Sondern das hier war mal ein wirklich schwieriger Kandidat, der mich allerlei Stunden in Atem gehalten hat!

Die Pointe verrate ich jetzt schon: Das Gerät war eigentlich gar nicht kaputt, vielmehr war es per Design fehlerhaft. Auch stimmte das Layout nicht mit dem Schaltplan überein, was aber an unterschiedlichen Revisionsständen von Board und Plan gelegen haben dürfte.
Jedenfalls hat mich die Diskrepanz zwischen Schaltplan und Layout richtig böse verwirrt!

Gut, das Gerät ließ sich also irgendwann partout nicht mehr einschalten.
Im Rahmen der Fehlersuche bemerkte ich aber, dass es mit dem Einschalten tadellos klappt, wenn ich die Oszilloskop-Tastspitze am Gate eines bestimmten MOSFETs ansetzte:




Im Detail:



Wenn das Gerät dann lief, konnte ich die Tastspitze auch wieder entfernen, das Gerät lief unbeirrt weiter.
Nun muss man wissen: Ein Tastkopf hat einen Eingangswiderstand, sowie eine kleine Eingangs-Kapazität. Letztere schien mir für diese Absonderlichkeit verantwortlich zu sein.

Spaßeshalber versuchte ich dann mal, die Tastspitze zu "emulieren", indem ich an ihrer Stelle ein isoliertes Stück Draht, von etwa 15cm Länge, ans Gate anlötete, dessen anderes Ende frei in der Luft baumelte.
Und tatsächlich erfüllte diese Bedämpfung/Antenne/watt-auch-immer ebenfalls ihren Zweck! Das Gerät ließ sich nun einschalten. Aber erstens ist das natürlich keine echte Lösung, zweitens ergab sich der doofe Nebeneffekt, dass sich die Kiste nun nicht mehr herunterfahren ließ ... :-(

Im Schaltplan ist der betreffende MOSFET rechts zu sehen: PQ53.



Hmmm, aber da ist doch bereits eine Kapazität nach Masse beschaltet: PC81 ...
- Wie kann die kleine Kapazität des Tastkopfes, bzw. "Antennen-Drahtes" gegenüber den angegebenen 2,2nF einen so großen Unterschied ausmachen, dass es hier über Wohl und Wehe entschied?

Merkwürdig kam mir auch die Beschaltung von PQ17 und PQ22 vor! Wieso schalten diese kleinen MOSFETs einfach nur Widerstände nach Masse, die an stabile Spannungen angeschlossen sind?
Das ergibt doch gar keinen Sinn! Da müssen Fehler im Plan sein!

Hier sieht man es noch mal deutlicher:



PQ53 ist ein "Schalter", der die dicken 5V vom Lade-Controller einfach nur durchschaltet. Wenn das geschieht, dann läuft die Kiste auch.
Und tatsächlich stimmt mit dem Schaltplan etwas nicht, denn zwischen PQ22 und dem Widerstand PR85 sitzt im Layout noch eine Via (Durchkontaktierung) von der aus eine Leiterbahn sonstwohin führt. Wohin genau, konnte ich per Durchgangsprüfer und Drahtbüschel-Bürste nicht herausfinden, offenbar führt sie zu einem BGA-Chip.

Der ganze Schaltungsteil, den man hier im Plan sieht, sitzt auf der gegenüberliegenden Platinenseite, als der MOSFET PQ53.
Hier sieht man die Stelle rund um PQ28, bereits nach meinem erfolgreichen Eingriff:



Des Rätsels Lösung:
Der Kondensator PC81 war im realen Layout überhaupt nicht bestückt!
Damit nicht genug: Von seinen beiden freien Pads war eines (das untere) zwar wie im Schaltplan zu sehen mit Masse verbunden, aber das obere (im Bild noch freie) Pad war im Layout nicht mit dem Drain von PQ28, bzw. dem Gate von PQ53 verbunden!
Es nützte also nichts, an die regulären Pads einen Kerko anzulöten!

Letztendlich lötete ich den Kondensator etwas künstlerisch, leicht diagonal vom Drain des PQ28 zum bis dahin freien Masse-Pad von PC81. Damit stimmte nun zumindest dieser kleine Teil der Schaltung mit dem Plan überein.
Problem gelöst! Der Rechner ließ sich jetzt zuverlässig einschalten und auch wieder herunter fahren.

Fragt nicht, wie viele Stunden ich daran gekaut hatte, bis das hier geklärt und behoben war!

Keine Ahnung, wieso dieser blöde Kerko fehlte. Offenbar lief die Kiste ohne diesem so gerade eben, hart an der Grenze. Mit etwas Bauteilalterung verschob sich dann wohl ein kritischer Parameter und fortan streikte das Gerät. Eine bessere Erklärung habe ich nicht.

Übrigens läuft das Einschalten so ab:
Man betätigt den Einschalt-Taster, der bekanntlich am Embedded Controller angeschlossen ist. Dieser gibt nun einen kurzen Impuls (Millisekunden) links im Plan an den Transistor PQ30.
Der Transi steuert durch und bewirkt, dass PQ28 kurzzeitig sperrt. Das wiederum bewirkt, dass PQ53 am Gate kurz high wird und durchsteuert ... wodurch die Spannung +5V_S5 zum Widerstand PR85 gelangt.
Irgendeine Magie bewirkt dann noch, dass PQ53 weiterhin durchgeschaltet bleibt, selbst wenn links das Signal S5_ON vom Embedded Controller wieder weg fällt.
- Wie das zustande kommt, habe ich nicht weiter analysiert, denn das war mir zu mühsam, mit dem offenkundig nicht zum Layout passenden Schaltplan.
Jedenfalls würde das von Hand eingezeichnete Signal mit dem Fragezeichen normalerweise nur kurz high werden. Und meine Vermutung ist, dass diese Zeit etwas verlängert werden musste, damit das Einschalten klappt, in dessen Rahmen irgendein Wunder eintreten kann, welches PQ53 weiterhin durchgeschaltet lässt.
Und eben diese Verlängerung bewirkt der von mir nachträglich eingelötete Kondensator PC81, der im Schaltplan ja auch vorgesehen ist, obwohl er im realen Layout fehlte.

- Hardcore!

Der Rechner hat mich im Anschluss noch weitere zwei Stunden geärgert und ich will Euch eine ähnliche Erfahrung ersparen.
Das Problem war, dass der Rechner nun zwar lief, doch der Akku wurde nicht geladen!
Er wurde in Windows zwar erkannt und auch sein Ladezustand wurde angezeigt, nur wurde er halt nicht geladen ...

Auch hier lag kein richtiger Defekt vor, sondern der Acer V5 ZRQ hat einen fest eingebauten Akku. Wie man sich leicht vorstellen kann, ist das nicht ganz ungefährlich, denn wenn man das Gerät öffnet und darin z. B. den Speicherriegel austauscht, könnte dabei ein Kurzschluss entstehen.
Darum verfügt das Gerät über einen Tast-Kontakt, der dafür sorgt, dass bei geöffnetem Gerät der Akku deaktiviert wird!
Die Kommunikation zwischen dem Mainboard und der im Akku verbauten Elektronik läuft zwar weiter, aber die Power wird sozusagen abgeklemmt!

Hier sieht man den Taster, er ist rechts unterhalb des Akku-Anschlusses bestückt:



Na, da konnte ich im zerlegten Zustand ja lange nach dem Fehler suchen ... ich hätte einfach nur den winzigen Nippel des kleinen Tasters herunter drücken müssen.
Tja, hinterher ist man immer schlauer!
Und da ich das nun dick im Forum beschrieben habe, werde ich das auch ganz bestimmt nie wieder vergessen! :-)


Fazit: Dieses Gerät war schwierig!
OK, das mit dem Akku war nur Blödheit meinerseits, dass ich dafür so lange tüfteln musste. Aber der nicht bestückte Kondensator war schon wirklich hart, zumal er ja im Schaltplan vorhanden ist! So einen Fehler überhaupt zu finden, war schon ein Akt! Dass dann noch eines seiner Pads im Layout nicht so beschaltet ist, wie im Schaltplan gezeichnet, hat mich weitere Zeit gekostet, denn natürlich lötete ich da gleich siegessicher einen Kondensator auf die beiden freien Pads, was aber keine Änderung bewirkte ... :-(
Dann probierte ich größere Werte, doch wiederum Pustekuchen! Bis ich - misstrauisch geworden - die Pads mal per Durchgangsprüfer durchklingelte und die Abweichung vom Plan bemerkte. :-(
Tja, liebes Mainboard, am Ende bezwang der EDV-Dompteur dich dann aber doch! :-)

Und ich gebe zu: Tatsächlich spürte ich mehrfach die Versuchung, aufzugeben!
Aber es war halt so absurd, dass die Kiste einwandfrei lief, sofern die Oszi-Tastspitze die richtige Stelle berührte; da kann man doch nicht aufgeben, wenn man das vor Augen hat! Da muss es doch eine Lösung geben!
Nur, wer hätte gedacht, dass hier gar kein klassischer Defekt vorliegt, sondern dass da bloß - offenbar ab Werk! - ein winziges Kondensatörchen im Format 0402 fehlt?

Etwas ärgern tut mich noch, dass meine von Hand eingezeichneten Ergänzungen diesen Schaltungsteil natürlich nicht vollständig berichtigt haben. Da sind noch immer Abweichungen vorhanden. Nur musste ich mit dem Gerät auch mal fertig werden und es dem Kunden zurück geben, ich konnte da nicht noch mehr Zeit mit verheizen, nur um alles perfekt zu dokumentieren.
Macht Technik dir das Leben schwör, ruf' schnell den EDV-Dompteur! ;-)

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