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EDV-Dompteur

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Mittwoch, 19. Februar 2020, 20:47

Medion Erazer P7643 - "magische" Reparatur!

Wie geht es weiter, mit Harry Potter?

"Harry Potter und das Mainboard des Grauens"?
"Harry Potter und der Medion der Verzweiflung"?
"Harry Potter und das magische Multimeter"?

- Ich weiß nicht, wie das nächste Buch heißen wird, falls jemals noch eines kommen sollte.
Aber ich weiß, dass man keinen Zauberstab benötigt, um einen Medion Erazer P7643 zu "reparieren". Ein Multimeter genügt!

Ja, man kann so ein Gerät, wenn es sich nicht mehr einschalten lässt, eventuell mit einem Multimeter "reparieren".
Genauer: Mit dem Diodentester.

Das entscheidende Feature eines Diodentesters (und praktisch jedes Multimeter hat ja einen Diodentest-Modus integriert) ist, dass so ein Tester eine hochohmige Spannung an die Messleitungen anlegt. Bei meinem Multimeter sind es 3V. Und das passt für die folgende "Reparatur" perfekt!


Watt war los?
- Ein Kunde schickte mir ein Notebook zu (Medion Erazer P7643), das sich nicht mehr einschalten ließ, nachdem er dort eine andere SSD eingebaut hatte.
Und wie bitter: Der Kunde tat das aus purer Gefälligkeit, für eine andere Person!
(Und das Einschaltproblem hat NICHTS mit der SSD zu tun! Man lese den Rest!)

Besagter Kunde hat beruflich mit EDV zu tun, fühlte sich vollkommen unschuldig und verstand die Welt nicht mehr, warum das Gerät plötzlich nicht mehr lief; auch nicht mit der alten SSD, oder gänzlich ohne.
Nun, Kunden, die selbst Hand anlegten und - wenn so ein Gerät anschließend nicht mehr funzt - sich völlig unschuldig fühlen, habe ich ja häufiger ... aber in diesem Fall war der Kunde ausnahmsweise tatsächlich völlig unschuldig!

Nun gut, das Gerät landete also bei mir.
Kenner meines Forums kennen natürlich schon längst meinen Thread Schnellkurs Notebook-Reparatur - Stromversorgungsprobleme
Also baute ich das Mainboard aus, um es in hinlänglich bekannter Weise zu untersuchen.
Zu meiner Überraschung lag im Eingangskreis kein Fehler vor. Auch gab es keinen Kurzschluss.
Beide Eingangs-MOSFETs steuerten durch und die System-Rail führte ordnungsgemäß ihre 19V - so wie es ja sein soll.
Aaaber: Die Schaltwandler für 5V und 3,3V werkelten nicht!

Hier der entscheidende Bereich. Der rote Pfeil zeigt direkt auf den Schaltwandler-IC - ein TPS51225C .




Ich stelle meine berühmten Indikatoren auf die Spulen für 5V und 3,3V, doch sie leuchteten nicht (anders als hier im Bild).
Der rote Pfeil zeigt auf einen entscheidenden Punkt rechts neben dem IC:




Das schauen wir uns nun noch einmal genauer an.
Der Pfeil zeigt jetzt auf Pin 6 des ICs. Das rote Rechteck umschließt die mit Pin 6 verbundenen "Lötpunkte" bzw. Vias.




Pin 6 des ICs TPS51225C ist der Eingang "Enable 2". Also ein Freischalt-Eingang.
Dort war "Low" zu messen, also nix Spannung.
Um den Chip zu aktivieren, müsste dort aber ein "High" anliegen; also eine Spannung von grob 3V.
Es half nicht, den Einschalttaster zu betätigen.
Es half auch kein CMOS-Reset.
Gar nix half!

Also wendete ich "Magie" an!
Bei Harry Potter lautet der Zauberspruch, der kaputte Dinge wieder in Ordnung bringt: "Repario" (frei aus dem Gedächtnis, ich könnte irren! Lest die Bücher, oder schaut die Filme, wenn Ihr es genau wissen und es mit Magie versuchen wollt!).
Äh, nun ja, bei mir klappte das mit dem Zauberspruch leider nicht ... :172:
Aber die folgende "magische Methode" klappte:
- Multimeter in den Modus "Diodentest".
- Die schwarze Messspitze irgendwo an Masse halten.
- Mit der roten Messspitze eine der im letzten Bild rot umrahmten, metallischen Stellen antippen.
Das ist schon alles! :023:
Sofort leuchteten meine Indikatoren auf und der duale Schaltwandler lief!
Ab jetzt lässt sch das Mainboard ganz normal mit dem Einschalttaster einschalten.

Ööh, OK, das ist klasse! Aber wie konnte es dazu kommen?
Nun, wie ich feststellte, gerät dieses Mainboard in den hartnäckigen "ich-lasse-mich-ab-jetzt-nicht-mehr-einschalten-Zustand", wenn es jemals ganz stromlos gemacht worden ist.
Auf Deutsch: Netzteil ab und Akku raus.

Tja, und genau das hatte mein Kunde natürlich gemacht, um die andere SSD einzubauen.
Genau korrekt hatte er es also gemacht: Netzteil abgezogen, Akku raus.
Damit war das Gerät völlig stromlos und damit war es "gebrickt". Ging nicht mehr!

Es half nicht, den Akku wieder anzuschließen und/oder das Netzteil.
Es half auch kein CMOS-Reset. Das Gerät war "gebrickt"!

- Öh, aber das ist doch saudoof!?!?! Der Kunde hat also alles genau richtig gemacht und trotzdem "brickt" man damit das Gerät???
Ja, so ist das. Medion ...

Glücklicherweise ist Abhilfe leichter möglich, als man denkt, denn man muss für die Anwendung meiner "magischen Methode" das Mainboard gar nicht ausbauen!
Hier ein Blick auf die Unterseite, mit abgeschraubter Serviceklappe:
(Man achte auf den rot umrandeten Bereich)




Das schauen wir uns nun genauer an.
Grundvoraussetzung für den Erfolg unseres "magischen Tricks" ist übrigens, dass bei gestecktem Netzteil auf der Systemrail rund 19V messbar sind!
Wenn das nicht der Fall ist, dann können wir unsere "Magie" definitiv nicht anwenden!
Glücklicherweise gibt es nahe des Schaltwandlers eine prima Stelle, wo man das Voltmeter recht gefahrlos ansetzen kann; an dem dicken Kerko, etwas weiter oben.




Wie man oben sieht, sind die entscheidenden Stellen bei geöffneter Serviceklappe so gerade eben zugänglich!
Säße die Stelle 1-2 Zentimeter weiter links, dann käme man dort nicht mehr heran; aber wie man sieht, geht es gerade noch.
Zuerst bitte vergewissern, dass oben am Kerko ca, 19V messbar sind, gegenüber Masse.
Wenn das der Fall ist, dann das Multimeter in den Modus "Diodentest" umschalten und dann mit der roten Messspitze irgend einen metallischen Punkt innerhalb des kleinen roten Rechtecks antippen; schon ist alles wieder gut!

Natürlich muss man super vorsichtig sein, dass man keinen Mist baut, also keinen ungewollten Kurzschluss zu einem benachbarten Potential fabriziert!

Wenn Ihr diesen Kunstgriff anwendet, dann handelt Ihr auf eigene Verantwortung! - Ich gehe davon aus, dass Ihr erwachsen und zurechnungsfähig seid; und dass Ihr mich nicht verklagt, wenn Ihr meinen Tipp befolgt und dabei Schäden verursacht!
Viel mehr an Können wird Euch ja gar nicht abverlangt; auch ein Laie kann das durchführen. Denn wie man sieht, braucht man nicht mehr als einen Kreuzschraubendreher (zum Abschrauben der Serviceklappe) und ein Multimeter, um diese "Reparatur", bzw. dieses "unbricking" durchzuführen.
- Doch, eines könnte noch notwendig sein: Eine stark vergrößernde Lesebrille, oder Lupe! Denn die Stelle, die da mit der Messspitze berührt werden muss, ist wirklich sehr sehr sehr winzig! - Viel winziger, als man anhand der Fotos denken würde!


Gut, der Vorgang wurde hiermit nachvollziehbar beschrieben.
Jetzt noch eine Merkwürdigkeit, die mich selbst stutzig macht:
Der TPS51225C hat zwei Enable-Eingänge.
Enable 1 ist Pin 20.
Enable 2 ist Pin 6.

Was mich wundert:
Ich habe an beiden Enable-Pins Low gemessen.
Und komischerweise genügte es, den Enable 2 (also Pin 6) mit den 3V vom Diodentester zu beglücken, um beide Schaltwandlerstufen zu aktivieren.

Ich verbuche das mal als Kuriosität, für die ich gerade keine nette, sondern eher eine böse Erklärung habe.
Wer mag, kann ja mal ins Datenblatt schauen, ob er darin eine Erklärung dafür findet (ich behaupte nein). Hier jedenfalls zwei Screenshots daraus:





Die beiden LDOs (Linearregler) VRG3 und VREG5 waren auch im gebrickten Zustand aktiv.
Enable 1 und Enable 2 waren ursprünglich Low, weswegen die beiden Schaltwandler-Kanäle nicht liefen.
Die Kuriosität: Ein künstliches High an Enable 2 (grüne Box) zeigte eine solche Wirkung, wie wenn gleichzeitig auch Enable 1 High wäre (blaue Box).
Das High an Enable 2 hat also BEIDE Schaltwandler aktiviert!

Laut der Tabelle im Datenblatt kann das eigentlich nicht sein, wie man ja sieht. Die Ursache dafür muss demnach auf dem Mainboard liegen - der per Enable 2 gestartete 3,3V Wandler bewirkt offenbar Vorgänge auf dem Mainboard, die dafür sorgen, dass mit unmerklicher Verzögerung auch der Enable 1 High-Potential annimmt.
Einen Schaltplan für das Mainboard habe ich leider nicht und ich war zu faul, es mit dem Oszi zu überprüfen, ob meine Hypothese zutrifft, aber es hat deutlich den bösen Anschein, dass der Embedded Controller hier nur dann das Enable 2 Signal für den 5V-Teil des Schaltwandlers ausgeben kann, wenn bereits der 3,3V Wandler läuft. Normalerweise sollte ihm dazu der 3,3V LDO genügen (VREG3) ...
Letztendlich ist es aber wurscht - wir können Enable 1 getrost ignorieren und müssen unser künstliches High-Signal einfach nur an Enable 2 (also Pin 6 des ICs) anlegen, schon ist die Kiste wieder einschaltbar.

Und noch einmal sei betont, dass das Notebook "unter Spannung" sein muss, wenn das passiert, sonst ist es nutzlos!
Vorzugsweise sollten sowohl der Akku, als auch das Netzteil, gesteckt und intakt sein, wenn man den Diodentester ansetzt..
Fortan funktioniert das Notebook wieder prächtig und lässt sich starten, herunter fahren, erneut starten ... so oft man will. Aber wenn das Gerät jemals wieder ganz stromlos gemacht wird (Netzteil ab, Akku raus), dann ist es sofort wieder "gebrickt" und man muss den Trick mit dem Diodentester wiederholen!

Das bedeutet aber auch:
Wenn der Akku eines Tages völlig tot ist und man dann auch noch das Netzteil abzieht, dann ist die Kiste ebenfalls nicht mehr einschaltbar!
Und wie hoffentlich vermittelt wurde, nützt es dann nichts, einfach einen neuen Akku zu besorgen, vielmehr muss dann zwingend meine "Magie" angewendet werden, um die Kiste wieder zu aktivieren!

Ich verbuche das - mangels anderer mir in den Sinn kommender Erklärungen - einfach mal als Fehlkonstruktion seitens Medion!
Das wäre dann aber eine ziemlich "sagenhafte" Fehlkonstruktion, denn wenn auf dem Mainboard wirklich kein Defekt vorliegt, sondern wenn es bei diesem Modell wirklich so ist, wie es ist ... dass MUSS diese Macke Medion doch unvermeidbar aufgefallen sein!
Immerhin sind die Geräte direkt nach der Fertigung ja definitiv stromlos ... es kann doch nicht wahr sein, dass die Kisten dort ab Werk mit solchen Tricks künstlich zum Leben erweckt werden, im vollen Bewusstsein, dass die Dinger sofort ausfallen, sobald der User mal Netzteil und Akku entfernt!?!
Der Akku ist übrigens mit zwei Schrauben fixiert. Aber wenn man die löst, dann kann er normal entnommen werden, ohne dass man dazu das Gehäuse öffnen müsste, wie es leider immer häufiger der Fall ist.
Aber ich habe auch noch nie ein Gerät gesehen, mit von außen wechselbarem Akku, der nicht nur eingerastet, sondern festgeschraubt ist!
Ist Medion sich dieser Macke etwa doch bewusst? Sogar so bewusst, dass dem Gehäuse extra Fixierungsschrauben verpasst wurden, damit die User den Akku nicht "spaßeshalber" einfach mal so entnehmen?
Ich kann es eigentlich nicht fassen, denn das kommt mir gar zu unverfroren vor! Immerhin wäre es dann ja so, dass die Notebooks dieses Typs nur maximal so lange halten würden, bis der Akku tot ist. Wenn dann das Netzteil abgezogen wird, geht nix mehr!
Vielleicht gibt es ja ein neueres BIOS, dass die Einschalthemmung beseitigt? Trotzdem hätte Medion dann zumindest anfänglich wissentlich Geräte mit "Krebs" auf den Markt geworfen ...

Oooder das mir vorliegende Gerät ist eine absolute Ausnahme und hat als einziges weit und breit diesen bedauerlichen Defekt, dessen wahre Ursache aufzuspüren ich nur zu dumm war?
- Wer weiß?

Und übrigens erlebte ich bei dem Gerät noch eine weitere Überaschung: Das Booten von meinem bewährten USB-Stick funktionierte hier nicht.
Das lag nicht an falscher Bootreihenfolge im BIOS oder so was, vielmehr erscheint - wie erwartet - das Bootmenü vom Stick und der Bootvorgang beginnt ... aber irgendwann geht es nicht weiter, weil angeblich kein Filesystem gefunden wurde (WTF???).
- Auch das verbuche ich mal als "kuriose Medion-Macke".
Meine Vermutung ist die: Dieses Gerät hat ganz einfach ein total besch... und mit heißer Nadel gestricktes BIOS, sowie wahrscheinlich eine Hardware-Macke. Und es war wohl einfacher, bzw. schneller möglich, ein Gehäuse mit Schrauben für den Akku zu konstruieren, als die BIOS- und/oder Hardware-Macken in den Griff zu bekommen. Das Modell musste wohl rasch auf den Markt, oder so. Vielleicht wegen dem kollektiven Kaufrausch im Dezember?

OK, genug gemutmaßt.


Und jetzt noch eine Warnung:
Wie zu Anfang geschrieben, liefert MEIN Mulitmeter im Modus Diodentest 3V an den Messspitzen, was ganz vorzüglich passt.
Das heißt aber NICHT, dass sich jedes anderes Multimeter genauso verhält!
Wenn Ihr meinen Trick anwendet, dann vergewissert Euch zuvor, dass Ihr keine gefährlich hohe Spannung an der beschriebenen Stelle anlegt!
Ich kann nicht ausschließen, ob andere Testgeräte womöglich bis zu 9V (oder was auch immer) erzeugen, seid also vorsichtig!
- Ich habe gewarnt! Ihr handelt in eigener Verantwortung!


Versteht bitte das Prinzip:
Es geht nicht darum, explizit mit einem Diodentester in der Schaltung herum zu stochern, sondern es geht darum, ein für den TPS51225C verdauliches High-Signal an dessen Pin 6 anzulegen. 3V passen gut und die können natürlich auch aus anderer Quelle kommen (z. B. aus dem LDO des Chips). Es wäre aber gut, wenn die zugeführte Spannung relativ hochohmig ist. Beim Diodentester ist das automatisch gewährleistet und es ist damit auch viel leichter gemacht, als wenn man die Spannung vom LDO abzwackt.


So, und nun zur Kasse:
Ich habe ja nun wirklich genauestens beschrieben, was zu tun und worauf zu achten ist.
Und das hat einige Mühe gemacht UND es bringt mich womöglich um einige lecker simple Aufträge ...

Wer also ein nicht einschaltbares Medion Erazer P7643 hat und meinen Trick erfolgreich anwenden konnte, der hat dadurch dann ja viel Zeit und Stress und Geld gespart.
Wer seine Anerkennung und Dankbarkeit dafür zum Ausdruck bringen möchte, dass ich hier solche Tipps verbreite, statt derlei Wissen geheim zu halten und Kohle für derart simple Reparaturen einzusacken, der sei hiermit ermuntert, seinem Drang doch nachzugeben und an die im Impressum angegebene Mailadresse per PayPal 'nen Fuffi zu senden (oder auch weniger, wenn die Kohle knapp sein sollte, ich weiß ja, wie das ist! Die Anerkennung zählt!).
Verwendungszweck: "Reparaturtipps per Forum".
Natürlich stelle ich dann eine Rechnung über den Geldeingang aus, mit ausgewiesener MwSt.

Wäre es fair, das zu tun?
- Ja, das wäre fair!
Macht Technik dir das Leben schwör, ruf' schnell den EDV-Dompteur! ;-)

- Technische Fragen zu Eigenreparaturen bitte öffentlich im Forum stellen, nicht telefonisch! -